WERNER VON SIEMENS
"Das Kunststück ist nicht, daß man mit dem Kopf
durch die Wand rennt, sondernrn,
daß man mit den Augen die Tür findet."
-Werner von Siemens-

Werner Siemens, geboren am 13. Dezember 1816, war das vierte unter 14 Kindern des Landwirts Christian Ferdinand Siemens, der das Gut Lenthe in der Nähe von Hannover bewirtschaftete. Der Vater hatte wenig Freude an seinem Beruf. Mißernten, Krankheit, vielleicht auch das eigene Unvermögen waren schuld daran, daß in der Familienkasse fast immer Ebbe herrschte. Am Stammtisch spotteten die Dorfhonoratioren, Christians einziger Erfolg bestehe darin, acht
wohlgeratene Knaben gezeugt zu haben. Diese aber hatten in ihrem späteren Leben den Erfolg geradezu gepachtet.

Werner, das Älteste der Kinder, besuchte in Lübeck das Katharinengymnasium und zeigte besondere Leistungen in den Fächern Physik und Mathematik.Sein sehnlichster Wunsch, studieren zu dürfen, ging nicht Erfüllung. Der Vater sah
sich außerstande, ihm ein Studium zu finanzieren. So bewarb sich Werner beim Ingenieurkorps des Preußischen Heeres. Dort konnte er als Offiziersanwärter eine kostenlose naturwissenschaftliche Ausbildung erhalten.
Nach dreijährigem Unterricht in Physik und Chemie, Mathematik und Ballistik wurde der zweiundzwanzigjährige Bauernsohn zum Leutnant befördert. Ein Jahr später starben beide Eltern. Werner Siemens hatte seiner Mutter auf dem Sterbebett das Versprechen gegeben, für den Lebensunterhalt seiner Geschwister zu sorgen. Doch das war eine schwere Aufgabe, das karge Leutnantssold reichte dafür längst nicht aus. Not macht bekanntlich erfinderisch; an Erfindungsgabe und Phantasie hat es Siemens nie gefehlt. Als er bei seinen elektrochemischen Experimenten entdeckte, daß man Löffel, Gabeln und Messer auf elektrolytischem Wege mit einem Goldüberzug versehen konnte, sah er einen Weg, seinem Versprechen nachzukommen. Der sieben Jahre jüngere, sprachbegabte Bruder Wilhelm wurde nach England geschickt, um das galvanische Vergoldungsverfahren an Besteckfabriken zu verkaufen. Das Wunder geschah: Wilhelm fand auf der Insel einen Interessenten. Mit dem Erlös von 1500 Pfund Sterling war die Familie ihrer drängenden Geldnöte fürs erste enthoben. Ermutigt von dem unerwarteten Erfolg, brütete Siemens weiter Erfindungen aus: einen Differentialregler für Dampfmaschninen, rotierende Schnellpresse für Druckereien, Funkenfänger für Dampflokomotiven. Doch niemand interessierte sich für diese technischen Verbesserungen. Jahrelang gelang Leutnant
Siemens kein Treffer mehr. Als der Gewinn aus dem Galvanisiergeschäft aufgebracht war, wurde
die Lage der Familie langsam wieder kritisch.

Da geschah abermals ein Wunder: Ein Uhrmacher wandte sich hilfesuchend an den als Tüftler bekannten
Werner Siemens. Die preußische Heeresverwaltung habe ihm einen "Wheatstoneschen Zeigertelegraphen"
zur Reparatur gegeben, doch er käme mit dem neuen Gerät nicht zurecht. Siemens erkannte sofort, warum der Telegraph nicht funktionieren konnte. Als er das defekte Gerät reparierte, wurde ihm klar, welch große Bedeutung ein Nachrichtensystem haben würde, mit dem man militärische Informationen auf dem schnellsten Wege von einem Truppenteil zum anderen übermittelnkönnte. Der bisher verwendete optische Semaphor - ein mechanischer Singalgeber, mit dem man sechsundachtzig verschiedene Zeichen auf fünf Meter hohen Gerüsten auf größere Entfernungen übertragen konnte - war nur bei klarer Sicht einsatzfähig und arbeitete überdies viel zu langsam. Mit einfachsten Hilfsmitteln - Zigarrenkiste, Weißblech, Kupferdraht und Uhrzeiger- bastelte Siemens das Modell eines verbesserten elektrischen Zeigertelegraphen und ließ ich von dem befreundeten Mechaniker und späteren Geschäftspartner Johann Georg Halske nachbauen.
Am 1. Oktober 1847 gründeten die beiden in Berlin die "Telegraphenbauanstalt Siemens & Halske".
Die kleine Werkstatt in einem Hinterhof unweit des Anhalter Bahnhofs wurde zur Keimzelle der heutigen Weltfirma Siemens. Die "Telegraphenkommission" schrieb einen Wettbewerb aus für das beste System zur Nachrichtenübermittlung über weite Entfernungen. Die Aufgabe bestand darin, die historische Rede des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm IV. aus der Frankfurter Paulskirche nach Berlin zu übertragen. Am 28. März des Jahres 1849 war die Telegraphenlinie Berlin-Frankfurt betriebsbereit.
Der Apparat des amerikanischen Erfinders und Mitbewerbers Samuel Morse benötigte für die Übermittlung der Rede fünfundsiebzig Minuten, der von Siemens gebaute Zeigertelegraph brauchte volle sieben Stunden. Dennoch gewann Siemens den Wettbewerb, sein Apparat war wesentlich einfacher zu bedienen.

Doch die Telegraphie hatte noch erhebliche Schwächen, insbesondere wegen der ungenügenden Isolierung des Kupferkabels. Siemens entwickelte deshalb eine Presse, mit der man das Kabel nahtlos und absolut wasserdicht mit Guttapercha ummanteln konnte. Mit diesen Kabeln gelang den Siemensbrüdern Werner, Wilhelm und Carl der Einstieg in den Ausbau eines weltumspannenden Nachrichtennetzes. Der Ausbruch des Krimkrieges (1853) half dabei mit: Zar Nikolaus I. von Rußland beauftragte die Firma Siemens & Halske mit dem Bau und der Wartung einer elegraphenleitung von Petersburg nach Kiew und weiter auf die Krim. Dieser Auftrag brachte den Brüdern mehr als drei Millionen Rubel in die Kasse. Innerhalb von nur zwei Jahren baute Siemens die elftausend Kilometer lange "Indo-Europäische Telegraphenlinie" von London via Berlin, Warschau und Tiflis nach Kalkutta. Es folgten Unterwasserkabel von Spanien nach Algerien und im Jahr 1874 mit Hilfe eines eigens dafür konstruierten Kabellege-Spezialschiffs, der "Faraday", das erste Transatlantikkabel von Irland nach New York. Das Jahr 1866 spielte für Werner Siemens eine besondere Rolle.
Wenige Wochen vor seinen 50. Geburtstag machte er eine technische Erfindung von größter Bedeutung. Er hatte einen kleinen Zündinduktor gebaut, den er zu seiner Berliner Physiker-Stammtischrunde mitbrachte. Die Welle ließ sich in Richtung des Rotorumlaufs fast widerstandslos drehen. Der Drehung in Gegenrichtung setzte der Rotor jedoch erhebliche Kraft entgegen. Wenn man die Sperre mit äußerster Anstrengung überwinden wollte, erhitzte sich die Spule, was auf einen starken Induktionsstrom schließen ließ. Über die Tragweite dieser Entdeckung war sich Siemens sofort im klaren. Er schrieb seinen Bruder Wilhelm in London:".. die Sache ist sehr entwicklungsfähig und kann eine neue Ära der Magneto-Elektrizität herbeiführen." Wenige Wochen später war er sich seiner Sache sicher:" Dieser Apparat wird den Grundstein einer großen technischen Umwälzung bilden -." Werner Siemens hatte das dynamo-ekeltrische Prinzip entdeckt und als erster einen Weg gefunden, mechanische in elektrische Energie umzuwandeln. Am 17. Januar 1867 wurde seine Ausarbeitung vor der Berliner Akademie verlesen. Sie schloß mit den Worten: "Der Technik sind nun Mittel gegeben, elektrische Ströme von unbegrenzter Stärke auf billige und bequeme Art überall da zu erzeugen, wo Arbeitskraft disponibel ist."

Bis die Kinderkrankheiten der Dynamomaschine überwunden waren, vergingen noch viele Jahre. Dann aber trat die Starkstromtechnik ihren Siegeszug an: Im Jahr 1878 wurde die erste Straßen mit Kohlebogenlampen erleuchtet, ein Jahr später lief in Berlin die erste Elektrolokomotive, und auf der Industrieausstellung in Mannheim fuhr der erste elektrische Aufzug. Straßenbahnen, Gruben- und Werkbahnen wurden mit Elektromotoren ausgerüstet. Auf der "Ersten Internationalen Elektrizitätsausstellung" in Paris feierte man Siemens als Begründer der Elektrotechnik. Die Berliner Universität ehrte ihn mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde, Kaiser Wilhelm berief ihn in die Preußische Akademie der Wissenschaften und erhob ihn in den preußischen Adelsstand. Als der Kaiser ihm auch noch den Titel eines Kommerzienrates verleihen wollte, lehnte Siemens ab mit der Begründung: "Premierleutnant, Doktor phil. Honoris causa
und Kommerzienrat vertagen sich nicht, das macht ja Bauchschmerzen."

Werner von Siemens war kein Industriemanager im heutigen Sinne. Sein Führungsstil entsprach dem des mächtigen Prinzipals aus den frühen Gründerjahren. Alle Fäden liefen bei ihm zusammen. Diese Grundhaltung vertrug sich nicht immer mit den Anforderungen, die das schnell wachsende Weltgeschäft mit sich brachte. Dazu kamen die
dringenden Gemeinschaftsaufgaben, die er aus dem Gefühl der Verantwortung heraus übernommen hatte. Der Aufforderung, sich im preußischen Abgeordnetenhaus politisch zu engagieren, mochte er sich ebensowenig verschließen wie dem Auftrag, das erste deutsche Patentgesetz zu entwerfen. Kaum lag diese Arbeit hinter ihm, setzte er sich dafür ein, an den noch jungen Technischen Hochschulen eigene Lehrstühle für Elektrotechnik einzurichten.
Werner von Siemens gründete den "Elektrotechnischen Verein". Daraus entwickelte sich später der "Verband Deutscher Elektrotechniker", dessen Zeichen VDE noch heute die Sicherheit von Millionen elektrischen Geräten garantiert. Auf Siemens' Anregung hin legte der im Jahr 1882 in Paris tagende "Electrische Congreß" neue, international verbindliche Maßeinheiten der Elektrotechnik fest. Dabei wurde die seit 1860 verwendete "Siemenseinheit" für den elektrischen Widerstand durch die noch heute gültige Maßeinheit "Ohm" abgelöst. Sein letztes großen Werk war die Gründung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt mit der Zielsetzung, die Spitzenforschung zu fördern und die Ausbildung des Ingenieurnachwuchses zu verbessern. Hier wurde später auch das deutsche Eich- und Einheitswesen entwickelt, an den Siemens so sehr gelegen war.
Im Alter von 74 Jahren zog sich der Firmengründer von der Geschäftsführung zurück, um sich nur noch um seine geliebte Wissenschaft zu kümmern. Wenige Tage vor seinem Tod konnte er noch das erste Exemplar seiner Lebenserinnerungen" in die Hände nehmen. Der letzte Satz der Autobiographie lautet: "Mein Leben war schön, weil es wesentlich erfolgreiche Mühe und nützliche Arbeit war, und wenn ich meiner Trauer darüber Ausdruck gebe,
daß es seinem Ende entgegengeht, so bewegt mich der Schmerz, daß es mir nicht vergönnt ist, an der Entwicklung des naturwissenschaftlichen Zeitalters erfolgreich weiterzuarbeiten."

Heuer hat der Name Siemens nach wie vor einen guten Klang. Ein internationaler Konzern mit 60 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr, der 400000 Mitarbeitern einen in heutiger Zeit mehr oder weniger sicheren Arbeitsplatz bietet. Internationalimus gehört nach wie vor zum Bestandteil des Konzerns. So arbeiten mehr als die Hälfte der Mitarbeiter im Ausland. Seine Erzeugnisse auf dem Gebiet der Hochtechnologie genießen überall in der Welt den Ruf bester deutscher Wertarbeit.

Im Oktober 2007 feierte die SIEMENS AG ihren 160. Geburtstag.

Für mehr Informationen empfehle ich die Lebenserinnerungen von Werner von Siemens erschienen als Taschenbuch bei Piper in einer aktualisierten Neuausgabe (Stand März 2009).